Stell dir vor dein 5-jähriges Kind will allein im Freien spielen. Wann hast du ein besseres Gefühl?

  1. Wenn dein Garten nach allen Seiten hin offen ist
  2. Wenn dein Garten von einem Zaun umgeben ist
  3. Wenn dein Garten von einer Mauer umgeben ist

Wahrscheinlich wählst du Möglichkeit 2 oder 3. Denn hier kannst du die Gefahren abschätzen. Du weißt, was sich in deinem Garten befindet. Du bist auch sicher, dass dein Kind nicht auf die Straße laufen kann.

Aber auch dein Kind empfindet Sicherheit. Es spielt in einer vertrauten Umgebung, in der es sich gut zurecht findet. Dadurch kann es sich – so eigenständig wie eben in diesem Alter möglich – verhalten.

Grenzen ermöglichen Freiheit! – Echt jetzt?

Beim ersten Hinhören klingt es komisch. Das verstehe ich gut.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass Grenzen Freiheit und Sicherheit geben.
Sie schaffen einen Rahmen, in dem sich der betreffende Mensch frei bewegen kann. Diese Grenzen geben auch Sicherheit, denn sie bilden einen Rahmen. Die Person weiß, was sie darf und was von ihr erwartet wird. Darum ist es sinnvoll, deinem Kind eine Art Sandkasten zu bauen.

Maria Montessori drückte es so aus:
Die Freiheit unserer Kinder hat als Grenze die Gemeinschaft, denn Freiheit bedeutet nicht, dass man tut, was man will, sondern Meister seiner selbst zu sein.
(vgl. Grundlagen meiner Pädagogik S. 26)

[bctt tweet=“Die Freiheit unserer Kinder hat als Grenze die Gemeinschaft, denn Freiheit bedeutet nicht, dass man tut, was man will, sondern Meister seiner selbst zu sein. (Maria Montessori)“ username=“IlseMLechner“]

Freiheit ist also immer die freiwillige Entscheidung die auferlegten Grenzen einzuhalten. Werden die Grenzen nicht eingehalten, so wird die Umwelt entsprechend reagieren. Wenn ich also die jeweils geltenden Grenzen übertrete, so nehme ich die Konsequenzen in Kauf. Es ist meine freie Entscheidung.

Beispiel gefällig?

Dein Kind soll über das lange Wochenende einen Aufsatz schreiben. Ihr wollt über das Wochenende wegfahren.

Jetzt steht dein Kind vor der Wahl:

  1. Ich schreibe den Aufsatz vor dem Wochenende, damit ich es hinter mir habe.
  2. Es nimmt seine Schulsachen mit und schreibt irgendwann am Wochenende.
  3. Es schreibt den Aufsatz am letzten Tag, wenn ihr nach Hause kommt.
  4. Es schreibt den Aufsatz gar nicht.

Je nach Wahlmöglichkeit hat dein Kind verschiedene Konsequenzen zu tragen.

  1. Es muss jetzt noch seine Energiereserven mobilisieren, braucht aber dann das ganze Wochenende nicht dran zu denken.
  2. Es muss daran denken die Schulsachen einzupacken und muss vielleicht am Wochenende Zeit erübrigen, obwohl etwas Anderes lustiger wäre.
  3. Es kommt nach dem Wochenende geistig ausgeruht, aber körperlich müde zurück und muss dann noch seinen Aufsatz schreiben. Außerdem hat es das ganze Wochenende im Hinterkopf, dass noch eine Verpflichtung ansteht.
  4. Dein Kind hat möglicherweise ein schlechtes Gewissen und riskiert eine Strafarbeit oder eine schlechte Bewertung, weil es die Hausübung nicht gemacht hat.

Eine freie Entscheidung ist nur dann möglich, wenn ich die Konsequenzen kenne

Du siehst aus dem vorhergehenden Beispiel auch, dass dein Kind nur dann eine gute und freie Entscheidung treffen kann, wenn es die Konsequenz seines Handelns kennt.

[bctt tweet=“Nur jemand, der die Konsequenzen der verschiedenen Handlungsweisen kennt, kann eine freie Entscheidung treffen.“ username=“IlseMLechner“]

Nutze dieses Prinzip im Umgang mit deinem Kind. Einem Vorschulkind oder einem Schulkind kannst du schon erklären, welche Konsequenzen sein Handeln hat.

Dann kann das Kind entscheiden.

Freiheit braucht Wahlmöglichkeiten

Sicher stimmst du mir zu, dass Freiheit Wahlmöglichkeiten braucht.

Allerdings haben wir Menschen auch alle etwas Anderes gemeinsam. Je mehr Entscheidungsmöglichkeiten wir haben, desto schwerer fällt es uns, eine Entscheidung zu treffen.

Stell dir vor, du kommst in ein Restaurant und findest dort eine umfassende Speisekarte, wo es 3 Seiten Vorspeisen, 7 Seiten Hauptspeisen und 4 Seiten Nachspeisen gibt. Wie schnell wird es dir gelingen, dein Menü zusammenzustellen?

Meistens verfolgen die Menschen eine von zwei Strategien.

Entweder sitzen sie stundenlang vor der Speisekarte und werfen ihre Auswahl 5 x um, schauen dann auf die Nachbartische und wählen dann etwas, was sie sehen.

Oder sie schauen kurz in die Karte, sehen nach, ob ihr Lieblingsgericht vorhanden ist und wählen das aus.

Der Trick mit der Vorauswahl

Genau das kannst du im Umgang mit deinem Kind nützen. Du baust auch hier einen Sandkasten im übertragenen Sinn.

Du hast die Verantwortung für dein Kind und daher musst du in vielen Situationen die Vorauswahl treffen. Wenn es draußen kalt ist und schneit, dann wirst du deinem Kind sicher langärmelige T-Shirts oder sogar etwas dickere Sweatshirts herauslegen. Du triffst die Vorauswahl. Dein Kind kann dann entscheiden, ob es das blaue, das grüne oder das gelbe T-Shirt wählt.

Auch hier hat die freie Wahl also Grenzen. Dein Kind kann aber trotzdem eine freie Wahl über Design oder Farbe treffen. So kann es mitbestimmen.

Ein anderes Beispiel:

Ein etwa 17-jähriges Mädchen ist schulmüde. Die 6. Klasse (10. Schulstufe) besucht es bereits zum zweiten Mal und auch jetzt bleibt der Erfolg aus. Es würde gerne eine Lehre besuchen. Die Eltern haen Angst, dass das Mädchen die Lehre abbricht und wollen sie auf eine Fachschule mit Matura schicken. Es ist aber noch ein Semester bis zum Wechsel. Das Mädchen ist bereits jetzt wieder in den Gegenständen Englisch, Mathematik und Latein negativ. Das aber nicht deshalb, weil die Noten so schlecht sind, sondern weil die Motivation grundsätzlich nicht stimmt.
Welche Möglichkeiten gibt es, um das halbe Jahr zu überbrücken?

  • Die Eltern könnten mit dem Mädchen einen Auslandsaufenthalt zur Verbesserung der englischen Sprache vereinbaren.
  • Das Mädchen bleibt für die Zeit an der bestehenden Schule und es wird ausgemacht, dass sie sich in den Gegenständen Englisch und Mathematik mehr antrengt. (Latein wird an technischen Schulen nicht gebraucht.)
  • Die Eltern vereinbaren mit dem Mädchen, dass es sich selbst um eine Lehrstelle bewirbt. Ist die Motivation so hoch, dass sie ohne Mithilfe der Eltern eine passende Stelle findet, darf sie die Lehre machen.
  • Das Mädchen sucht sich einen Übergangsjob im angestrebten technischen Bereich um erste Erfahrungen zu sammeln, bevor sie an die neue Schule geht.

In diesem Fall werden die Möglichkeiten gemeinsam von Eltern und Kind festgelegt. Eine 17-jährige sollte schon in der Lage sein, Verantwortung in einem eingeschränkten Bereich zu übernehmen. Die endgültige Wahl hat dann das betroffene Kind.

Meister seiner selbst sein

Kleine Kinder können die Folgen ihres Handelns noch nicht gut abwägen. Diese Fähigkeit entwickeln sie erst im Laufe ihres Lebens. Sie muss reifen. Dabei hilft ein liebevolles Elternhaus, in dem ein wertschätzender und konsequenter Erziehungsstil gelebt wird.

Die Fähigkeit zur Selbstregulation oder Selbstwirksamkeit ist schon bei Geburt angelegt. Sie wird im Frontallappen oder Stirnhirn gesteuert. Diese Fähigkeit kann durch Erziehung beeinflusst, aber nicht beschleunigt werden. Einen guten Artikel über den Zusammenhang zwischen Erziehung und Reifung des Gehirns findest du bei meiner geschätzten Kollegin Christelle Schläpfer.

Bleib gelassen!

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Maria Montessori: Grundlagen meiner Pädagogik

Photos: getstencil.com
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